23.09.2021: Unbürokratische Schulbegleitung für Förderschüler*innen
Kreis Segeberg. Antrag ausfüllen, amtsärztliche Untersuchung, Bedarfsfeststellung durch die zuständige Behörde beim Kreis: Ein klassisches sozialrechtliches Verfahren, in dem ermittelt wird, ob einem beeinträchtigten Kind eine Schulbegleitung zusteht, ist bislang für alle Beteiligten aufwändig und teils langwierig gewesen. Seit Beginn des aktuellen Schuljahrs gibt es an den drei Förderzentren im Kreis Segeberg in Norderstedt, Kaltenkirchen und Bad Segeberg jetzt eine neue unbürokratische Pool-Lösung, die die starre Einzelhilfe ablöst und für alle eine Win-win-Situation darstellt – nicht zuletzt für die betroffenen Mädchen und Jungen. Grund für die Neuerung ist eine Öffnungsklausel des SGB IX, die dieses Vorgehen nun ermöglicht.
Schulbegleiter*innen unterstützen Kinder mit körperlicher, geistiger oder seelischer Beeinträchtigung im schulischen Alltag. Bisher mussten Eltern und Kinder den Nachweis erbringen, dass eine Beschulung ohne zusätzliche Begleitung behinderungsbedingt nicht möglich ist. Das ist ab sofort nicht mehr erforderlich. Die Eingliederungshilfe des Kreises Segeberg und die Schulleitungen der drei Förderzentren schauen vor dem Schuljahr gemeinsam auf Klassengrößen, vorhandenes Personal und die Bedarfe aller Schüler*innen. Als Ergebnis des neuen Pool-Konzepts ist so an jeder Schule stets ausreichend Personal vor Ort, sodass die Schüler*innen personell immer gut versorgt sind, auch wenn eine der Schulbegleitungen einmal kurzfristig ausfallen sollte.
Eines der betreuten Kinder ist die achtjährige Assia von der Janusz-Korczak-Schule in Kaltenkirchen. Assia hat eine Stoffwechselstörung und eine Genmutation, die unter anderem zu einer Entwicklungsverzögerung führt. Das Mädchen muss oft Nahrung zu sich nehmen, darf aber keine Fette essen. "Es muss immer jemand da sein, der aufpasst, dass sie regelmäßig isst, aber eben auch nichts Anderes zu sich nimmt als das, was sie dabei hat", sagt Vater Ralf Lindemann.
Bisher gab es im Kreis Segeberg 30 Kinder, die per Antrag eine 1:1-Betreuung durch eine Schulbegleitung an einem der Förderzentren hatten. Dazu gehörte auch Assia. "Aber Fakt ist: Jede*r Schüler*in an einem Förderzentrum hat vielleicht nicht täglich, aber zumindest hin und wieder einen Bedarf an Begleitung", sagt Fachdienstleiter Hauke Heinze von der Eingliederungshilfe für Minderjährige beim Kreis Segeberg. Im Rahmen der Pool-Lösung könne man nun flexibel auf den tagesaktuellen Bedarf reagieren. War vor der Umstellung ein Kind krank, blieb die Schulbegleitung ebenfalls zu Hause. So war es gängige Praxis. Hatte es die Schulbegleitung selbst erwischt, konnte auch das zu betreuende Kind nicht in die Schule – "und das stellte uns als Eltern manchmal vor große Herausforderungen", sagt Ralf Lindemann, der von einer "echten Mehrbelastung" spricht, die sich im Vorfeld natürlich nicht planen ließ. Teilweise habe Assia bis zu einer Woche zuhause betreut werden müssen, weil es in der Schule niemanden gab, der sich dort in Vertretung um sie kümmern konnte. Bei Krankheit eines der zu betreuenden Kinder steht die Schulbegleitung künftig weiterhin für andere Kinder zur Verfügung. Wird die Schulbegleitung selber krank, gibt es automatisch eine Vertretung aus dem Pool.
"Gemeinsam mit den schuleigenen Erzieher*innen und sozialpädagogischen Assistent*innen, BFDlern und FSJlern können die Schulbegleitungen jetzt gezielter eingesetzt werden. Das ist ein sehr moderner und inklusiver Ansatz, weil Kinder nicht erst auffällig werden müssen, bevor sie Unterstützung erhalten. Eine Stigmatisierung der Schüler*innen wird vermieden", sagt Heinze. Darüber hinaus erhofft sich Vater Ralf Lindemann von dem neuen Konzept eine deutliche Erleichterung, was die Vereinbarkeit von Schulalltag, Arbeitsleben, Familie und Betreuung anbelangt.