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ALLRIS - Vorlage

Bericht der Verwaltung - DrS/2023/062

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Beratungsfolge

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Sachverhalt

Zusammenfassung:

Die Belastungssituation des Allgemeinen Sozialen Dienstes (ASD) im Kreis ist erheblich. Korrespondierend kommt es zu Engpässen der Wirtschaftlichen und Rechtlichen Jugendhilfe (WJH), die kaum noch aufzufangen sind.
Durch Umstrukturierungsmaßnahmen im ASD soll Abhilfe und Entlastung geschaffen werden.
Fachbereichsleitung, zuständige Leitungskräfte des Jugendamtes, Personal- und Organisationsabteilung und Personalrat haben seit Spätsommer 2022 gemeinsam einen Lösungsvorschlag erarbeitet, der im Januar den Fachkräften der Sozialen Dienste vorgestellt worden ist. In den kommenden Monaten soll – begleitet von Themen-spezifischen Arbeitsgruppen – der Umstrukturierungsprozess beginnen.

 

 

Sachverhalt:

 

  1. Berufliche Situation des ASD in Deutschland

 

Die bereits 2018 erschienene Studie „Berufliche Realität im Jugendamt: der ASD in strukturellen Zwängen“ kommt zu dem Ergebnis, dass die häufig mangelhafte finanzielle und personelle Ausstattung den Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe konterkariere.

Die Bottom-up-Studie unter der Leitung von Prof. Dr. Kathinka Beckmann von der Hochschule Koblenz zeigt auf, dass den Fachkräften vor Ort oft essenzielle Bedingungen für eine professionelle sozialpädagogische Arbeit fehlen:
ausreichend Zeit, buchstäblich Raum, Wissen um strukturelle Verflechtungen und Erfahrungsweitergabe.

Die jüngsten Entwicklungen um Corona, die weiterhin hohe Anzahl an minderjährigen unbegleiteten Geflüchteten aus Ukraine und Drittländern, deutlich ansteigende Fallzahlen sowie insbesondere der Fachkräftemangel haben die Situation bis ins laufende Jahr noch erheblich verschärft.

 

Zwischen den insgesamt 563 Jugendämtern in Deutschland bestehen große Unterschiede im Hinblick auf die Ausübung des gesetzlichen Auftrags (vgl. Beckmann 2023).
„Vor diesem Hintergrund stand die Untersuchung folgender Thesen im Fokus:

  1. Die aktuellen Rahmenbedingungen im ASD behindern eine professionelle sozialpädagogische Arbeit.
  2. Ein in einer sozialpädagogischen Professionalität eingeschränkter ASD konterkariert den Grundgedanken des KJHG.“ (ebd.)

 

Im Ergebnis stellten sich die folgenden Aspekte als besonders relevant für eine gelingende Fallarbeit und positive erlebte Arbeitsbedingungen heraus:

 

  • Einarbeitung neuer Kolleg*innen,
  • Räumliche und technische Ausstattung,
  • Zeitfenster zur Fallbearbeitung,
  • Beteiligung von Klient*innen und Mitarbeiter*innen,
  • Wissen um strukturelle Verflechtungen.

 

Deutlich wurde dadurch, dass häufig die strukturellen Bedingungen vor Ort bzw. mangelnde Strukturen die Probleme in den Allgemeinen Sozialen Diensten verschärfen.

Die individuell erlebte Belastung korreliert zudem mit der Qualität der Aufbau- und Ablauforganisation.

 

„Die Bottom-Up-Studie spiegelt deutlich die zugenommene Arbeitsverdichtung der letzten Jahre im ASD wider. Allein der Blick auf die Fallzahlen zeigt, dass die meisten Fachkräfte trotz erfolgter Personalaufstockungen in den Jugendämtern jenseits der von BAG ASD/KSD als fachlich tragbar erachteten Fallzahlgrenze von 35 laufenden HzE-Fällen pro Vollzeitstelle arbeiten. Hinzu kommt, dass häufig Stellen im ASD unbesetzt bleiben, da es an geeigneten Bewerbern fehlt. So ist in Berlin beispielsweise jede siebte Stelle unbesetzt, in Hamburg sind 20% der Stellen frei (Vieth Entus 2017; Kutter 2017); in anderen Bundesländern ist die Situation ähnlich. Der Deutsche Beamtenbund forderte in diesem Zusammenhang die Schaffung von 3.000 zusätzlichen Stellen in den Jugendämtern (Spiegel Online 2018). Die Fallzahlbelastung wurde in den Interviews häufig im Zusammenhang mit erlebter Fluktuation oder hohem Krankenstand thematisiert. In der Analyse der Ergebnisse zur Fallzahlbelastung war die Art der Fallverteilung auffällig, da nur 18% der ASD nach Kapazität verteilen. Eine mögliche Entlastung bzw. gleichmäßigere Arbeitsentlastung könnte in diesem Bereich schnell durch die ASD-Teams selbst erreicht werden, indem sie die Fallverteilung künftig anhand von Kapazitätsgrenzen oder -ressourcen vornehmen. Diese Umstrukturierung entlässt die Politik jedoch nicht aus ihrer Verantwortung, die Qualitätssicherung in der Fachkräfteausstattung anzugehen, indem eine gesetzliche Fallzahlobergrenze für den ASD analog der Forderung der BAG ASD/KSD erfolgt. […]“ (Beckmann 2018)

 

 

  1. Konstellation des Jugendamtes und des ASD im Kreis Segeberg

 

Ist-Situation:

Das Kreisgebiet Kreis Segeberg ist derzeit in die Bereiche Nord, West und Ost unterteilt.

Der SD unterhält dort gegenwärtig insgesamt sechs Standorte in den Städten
 

  • Kaltenkirchen,
  • Henstedt-Ulzburg,
  • Bad Bramstedt,
  • Bornhöved,
  • Wahlstedt und
  • Bad Segeberg,

je zwei pro Region (Sozialraum).

 

Auf die Dienststellen verteilen sich derzeit 40,23 Vollzeit-Stellen, 38 Mitarbeiter*innen, mit einem Arbeitszeitumfang von 32,8 VZÄ inkl. Leitungs- und Assistenzkräfte.

Bislang handelt es sich dabei (inzwischen nur noch auf dem Papier) um drei Fachdienstleitungen (FDL) für die einzelnen Regionen sowie vier Fachgebietsleitungen (FGL) auf den Standorten.
FGL verantworten je nach Größe des Standortes bisher mit 65 – 40% ihrer Arbeitszeit neben der Leitungsfunktion auch eigene Fälle.
In den Dienststellen Bornhöved und Bad Segeberg nimmt die FDL alle Führungstätigkeiten direkt wahr.

Die FDL hatten bis Ende 2022 jeweils zusätzlich die Sonderdienste

 

  • Pflegekinderdienst (PKD) und Adoptionswesen inkl. einer FGL,
  • die Jugendhilfe im Strafverfahren (JuHiS) ohne eigene FGL sowie
  • die Amtsvormundschaften/Pflegschaften (AV/PS), weisungsungebunden,

 

in ihren Zuständigkeitsbereichen.

 

Stand Januar 2023 liegt die Gesamtzahl der Fälle in den ASDn bei 1731.

Gearbeitet wird in allen Dienststellen nach der Lüttringhaus-Methode in sozialräumlicher Ausrichtung. Die Ausgestaltung variiert allerdings mit den unterschiedlichen Leitungskräften.

Ebenso die Fall-Verteilung. Je nach Region werden von ASD-Mitarbeiter*innen zwischen 35 und temporär bis zu 120 Fälle pro Vollzeitkraft bearbeitet.
Die Gesamt-Personal-Fluktuation liegt im bundesweiten Trend und ist entsprechend hoch.

Neues Personal ist schwer zu finden und muss in der Regel sorgfältig eingearbeitet werden; hierzu fehlt jedoch häufig die Zeit. Ein Einarbeitungskonzept existiert bislang nicht.
Bis zur Lüttringhaus-Schulung vergehen oft viele Monate.

Der Dokumentationsaufwand ist erheblich. Das verwendete Programm KDO-Jugendwesen (KDO) wird teilweise nur unzureichend gepflegt; ein zielführendes Fach-Controlling und Bench-Marking ist kaum möglich.
Es wird von neu hinzukommenden Mitarbeiter*innen die Kultur der jeweiligen Dienststelle übernommen.

Für eine reflektierte Auseinandersetzung mit den inzwischen beschriebenen Prozessen im Prozessportal des Intranets ist das Tagesgeschäft für die Fachkräfte angesichts der aktuellen Situation zu fordernd.

Die durch Vakanzen und Krankheitsausfälle entstehende zusätzliche Belastung einzelner Mitarbeiter*innen ist erheblich. Tageweise sind insbesondere die Dienststellen Wahlstedt und Bad Bramstedt lediglich mit einer Fachkraft oder gar nicht besetzt.
Die Einhaltung von Standards kann nicht mehr flächendeckend geleistet werden.

Das Einholen und Beibringen von Unterlagen für das weitere Verfahren funktioniert häufig nur unzureichend. Die erfolgreiche Schnittstellenarbeit mit der WJH ist gestört.

Hinzu kommt die Belastung durch Einsätze im Rahmen der Rufbereitschaft.
Zunehmend weniger Mitarbeiter*innen stehen hierfür zur Verfügung.
Unterbringungsmöglichkeiten, insbesondere Inobhutnahme-Plätze sind kaum noch ortsnah und in einem angemessenen Zeitfenster zu finden.

Der Wegstreckenaufwand wächst und kostet zusätzlich Zeit. Seit dem 01.06.2019 wurden in den FD 51.33 insgesamt 16 Überlastungsanzeigen gestellt, und es ist zu18 Personalabgängen durch Kündigungen gekommen. Weiter verschärft wird die Situation durch überdurchschnittlich hohe Krankheitsausfälle aufgrund der vorgenannten Belastungen in der ohnehin besonders anspruchsvollen Tätigkeit im ASD.

 

 

  1. Nebeneffekte im Bereich der Wirtschaftlichen und Rechtlichen Jugendhilfe

 

Durch Störungen der Abläufe an der Schnittstelle ASD/WJH wir der Rückstau in der Bearbeitung von HzE-Leistungen nach jüngst erfolgreichem Abschmelzen erneut größer und größer.

Konsequenz ist eine Vielzahl offener, nicht bezahlter Rechnungen, trotz bereits erbrachter Leistungen, bei freien Trägern der Jugendhilfe und anderer Dienstleister*innen.
Dieser Umstand führt nachvollziehbar zu Verstimmungen im Binnenverhältnis der Mitarbeiter*innen sowie im Verhältnis zwischen öffentlichem Träger und freien Trägern.

 

  1. Umstrukturierung und Maßnahmen zur Abhilfe

 

Im vergangenen Jahr wurde angesichts der bundes- und landesweiten Entwicklung und insbesondere vor dem Hintergrund der Gesamtsituation der Sozialen Dienste  im Kreis Segeberg in Zusammenarbeit von Jugendamt, Personalabteilung und Personalrat beraten, in welcher Weise der sich absehbar weiter verschärfenden Entwicklung nutzbringend und entlastend begegnet werden könne.
Im Rahmen dessen wurde schnell deutlich, dass ein wesentlicher Anteil der misslichen Lage auf strukturelle Begebenheiten und fehlende verbindliche Rahmen zurückzuführen sei.
Gemeinsam wurde überlegt, in welcher geeigneten Weise die Gesamtbelastung gerechter in die Fläche umverteilt werden und wie eine schrittweise Lastenverteilung aussehen könnte.
In diesem Zusammenhang wurden unterschiedliche Zählweisen angepasst, Erfassungssysteme bereinigt, “abgelaufene“ Fälle geschlossen und unterschiedliche Verfahrenswege einer kritischen Prüfung unterzogen..

Im Ergebnis hat sich herausgestellt, dass zunächst eine Verdichtung der Personalkörper in Form größerer Standortteams und ein Neuzuschnitt der einzelnen Zuständigkeitsbereiche erforderlich sei.
Strukturelle Veränderungserfordernisse wurden deutlich und stellten sich als unvermeidbar dar.

Innerhalb eines halben Jahres zeichnete sich nach und nach ab, wie unter den gegebenen Voraussetzungen eine mögliche Veränderung im Fachdienst 51.33 aussehen könnte.
Hier werden sich in kollegialen Austauschen mit der Mitarbeiter*innenschaft im Laufe der kommenden Monate mutmaßlich noch diverse Verbesserungspotentiale ergeben, die entsprechend Berücksichtigung finden werden.

 

Zukünftig wird die Struktur jedoch im Ergebnis bis auf Weiteres wie folgt aussehen:
 

      eine Fachdienstleitung für den gesamten ASD,

      eine Fachdienstleitung für die Sonderdienste (PKD, JuhiS, JBA),

      Reduzierung der Kernstandorte auf insgesamt vier
(Kaltenkirchen, Henstedt-Ulzburg, Bornhöved, Bad Segeberg)/Teamverdichtung,

      tageweise aufsuchende ASD-Präsenz in der Fläche (langfristig),

      Neu-Zuschnitt der Zuständigkeitsbereiche,

      Anpassung der Fallzahlen auf durchschnittlich etwa 50 Fälle pro Vollzeitkraft,

      je eine 100%-Fachgebiets-/Standortleitung pro ASD,

      Auslagerung der Fälle gem. 35a SGB VIII ((drohende) seelische Behinderung) in den Fachdienst Eingliederungshilfe (EGH) Minderjährige (FDL Herr Heinze),

      Bündelung der Fälle unbegleiteter minderjähriger Ausländer*innen (UMA),

      Erprobung der Auslagerung von Grenzgänger*innen-Fällen (Konzept in der Finalisierung),

      Proaktive Maßnahmen- und Ressourcenplanung zur Umsetzung der Anforderungen aus der SGB VIII-Reform.

 

Darüber hinaus wird an internen Maßnahmen gearbeitet, wie eine weitere, spürbare Entlastung bei den Kolleg*innen in den SDn herbeigeführt werden kann.

Dazu gehören beispielsweise:

      Einarbeitungs- und/oder Arbeitskonzepte ASD, PKD, JuhiS,

      (komprimierte) Dienst- und Arbeitsverfügungen,

      Verfahrensvereinfachungen,

      Kompetenzerweiterungen für die einzelnen Fachkräfte (eigenverantwortliche Verfügung von Hilfen),

      Reduzierung des Dokumentationsaufwandes,

      konsequente Aufgabenkritik,

      gemeinsame Fallreflektionen/Fallwerkstätten (konstruktive Fehlerkultur),

      themenspezifischen Fachtage, Austauschforen, Diskussionsrunden u.ä.,

      Optimierung der Software-Nutzung (KDO-Vordruckwesen etc.),

      Expert*innen-Bildung als Multiplikator*innen,

      Beschwerdestelle für Mitarbeiter*innen,

      Gezielter Ausbau der Recruiting- und Personalmarketingmaßnahmen zur Anwerbung neuer Fach- und Führungskräfte

     

 

Die Kolleg*innen sind aufgerufen, eigene Ideen und Verbesserungsvorschläge einzubringen und sich an themenspezifischen Workshops aktiv zu beteiligen.


Alle bisherigen Bemühungen ersetzen gleichwohl nicht eine ordentliche Personalbemessung, die gem. Beschluss vom 04.11.2021 (vgl. DrS/2021/262) zu einem geeigneten Zeitpunkt möglichst zeitnah erfolgen wird.

Hierbei wäre eine weitere Annäherung an den Zielwert der BAG ASD/KSD von rund 35 Fällen pro VZÄ langfristig im Sinne der ganzheitlichen Kinder- und Jugendhilfe grundsätzlich wünschenswert.

 

Eine reine Fokussierung auf die Sicherstellung des Kinderschutzes im Verantwortungsbereich des ASD greift grundsätzlich zu kurz.
Die gegenwärtige Diskussion verortet die Arbeit der Jugendämter stärker eindimensional in den Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung (Schone, 2018, S. 39). Die Schwelle der Intervention wird im Namen des Kinderschutzes zudem immer weiter vorverlagert (ebd., S. 40).

Die Aufgabenpalette ist aber vielfältig, und mancher Fall, auch außerhalb von Kinderschutz oder HzE, erfordert einen unverhältnismäßig hohen Aufwand, der bei einer reinen Zählung so nicht angemessen ins Gewicht fällt.

Bei einem derart heterogenen Flächenkreis wie Segeberg fallen überdies auch extrem lange Fahrtzeiten nicht unerheblich ins Gewicht und müssen bei der Umverteilung von Stellenanteilen immer angemessen Berücksichtigung finden.

 

Der Prozess bleibt insoweit dynamisch und erfordert unterjährig regelhafte Anpassungen.

 

 

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Anlagen

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