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Vorlage - DrS/2022/038  

Betreff: Verstetigung des Schulprojektes "Verrückt? Na und!"
Status:öffentlichVorlage-Art:Drucksache
Verfasser/in:Frau Geyer
Federführend:Sozialpsychiatrie und Gesundheitsförderung Beteiligt:FB Jugend und Bildung
Bearbeiter/-in: David, Henny  Finanzbuchhaltung
   FB Zentrale Steuerung
   Gleichstellungsbeauftragte
   Finanzen und Finanzcontrolling
Beratungsfolge:
Ausschuss für Ordnung, Verkehr und Gesundheit Vorberatung
07.03.2022 
Sitzung des Ausschusses für Ordnung, Verkehr und Gesundheit ungeändert beschlossen   
Anlagen:
Präsentation Verrückt-Na und  
Evaluation Verrückt-Na und  

ALLRIS® Office Integration 3.9.2

Zusammenfassung:

Das Anti-Stigma-Projekt „Verrückt? Na und!“ zur Prävention psychischer Erkrankungen im Jugendalter soll im Kreis weitergeführt und verstetigt werden. Die 0,5 VZ-Stelle zur Projektkoordination und -durchführung soll entfristet werden. Das Projekt hat sich als bedarfsgerecht, zielgruppenorientiert, wirksam und wirtschaftlich erwiesen. Die Umsetzung ist erfolgreich und hat eine positive Prognose für die nächsten Jahre.       

 

 

Sachverhalt:

„Verrückt? Na und!“ ist ein durch die Universität Leipzig wissenschaftlich evaluiertes und mehrfach ausgezeichnetes Präventionsprogramm (z.B. Phineo „Wirkt-Siegel“, Hessischer Gesundheitspreis, DGPPN Anti-Stigma Preis u.a.). Es wird an 86 Standorten deutschlandweit sowie an weiteren 20 Standorten in Österreich, Tschechien und der Slowakei umgesetzt. Der GKV Spitzenverband empfiehlt das Programm in seinem „Leitfaden Prävention“ 2020. Im Kreis Segeberg besteht das Programm seit 2015 im Rahmen von Projekttagen. Seit 2020 erfolgt die erweiterte Durchführung mit zunächst bis zum 31.12.2022 befristet eingestelltem Personal (Drs/2019/097-1).

 

Das Programm richtet sich an Jugendliche und Lehrkräfte. Es wird in Schulklassen ab Jahrgang 8 gemeinsam von Fachkräften und ehrenamtlich tätigen Psychiatrieerfahrenen durchgeführt. Lerninhalte des Projekttages sind das Erkennen und Benennen psychischer Belastung und Krisen bei sich und anderen, das Kennenlernen von Behandlungs- und Unterstützungsmöglichkeiten und der Abbau von Vorurteilen gegenüber erkrankten Menschen. Der Klassenverband wird gestärkt und das Thema seelische Gesundheit in die Lebenswelt Schule transportiert. Ziel ist es, Jugendlichen zu ermöglichen, im Falle von psychischen Krisen selbstwirksam und frühzeitig zu handeln und passende Hilfen in Anspruch zu nehmen. So wird verhindert, dass aus Krisen Erkrankungen werden, die unbehandelt einen chronifizierten Verlauf nehmen. Erhebliche Folgekosten und Belastungen für das Gesundheitssystem können durch das wirksame Präventionsprojekt reduziert werden.

 

Nicht erst seit der Corona-Pandemie nehmen psychische Erkrankungen insgesamt und auch bei Kindern und Jugendlichen zu. Etwa die Hälfte aller Menschen erkrankt im Laufe des Lebens an einer psychischen Erkrankung. Laut DAK Kinder- und Jugendreport 2019 zeigt fast ein Viertel aller Schulkinder in Schleswig-Holstein psychische Auffälligkeiten. Ersten Studien zufolge stiegen psychische Belastungen durch die Corona-Pandemie in der Bevölkerung verstärkt, insbesondere bei Heranwachsenden (vgl. Copsy 2020, JuCo1 und JuCo2, 2021). Demnach sind Jugendliche besonders durch Ängste, Sorgen und emotionale Ermüdung belastet. Die psychische Belastung zeigt sich in Angstzuständen, depressiven Symptomen sowie Schlaf- und Appetitstörungen (vgl. Juventute Studie). Ärztliche und therapeutische Behandler*innen sowie Kliniken melden einen deutlichen Anstieg von behandlungsbedürftigen Jugendlichen mit vermehrt schweren Krankheitsverläufen und Suizidversuchen. Eine Studie der Essener Uniklinik zeigt sogar, dass sich im vergangenen Frühjahrs-Lockdown 2021 die Anzahl der Suizidversuche von Kindern und Jugendlichen im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie verdreifacht hat.

 

§5 und §7 des Gesundheitsdienstgesetzes Schleswig-Holstein verpflichten Kreise und kreisfreie Städte im Sinne der Gesundheitsförderung zur Information der Bürger*innen, zur Beratung und Aufklärung über Gesundheitsrisiken, gesundheitsfördernde Verhaltensweisen sowie zur Aktivierung und Motivation in Richtung gesundheitsbewusstem Verhalten. Das Schützen und Fördern der Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist hierbei explizit benannt. Das PsychHG Schleswig-Holstein gibt den Sozialpsychiatrischen Diensten in §2 vor, kinder- und jugendpsychiatrische Belange sowie die Belange von Kindern psychisch erkrankter Eltern besonders zu berücksichtigen. Nach §4 soll durch Aufklärung über psychische Störungen und durch Beratung Stigmatisierung entgegengewirkt und das Verständnis und damit die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung gefördert werden.

 

„Verrückt? Na und!“ ist somit ein wirksames und geeignetes Mittel, gesetzliche Aufgaben des Gesundheitsdienstes und strategische Ziele des Kreises umzusetzen und so dem nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie gestiegenen Bedarf, präventiv mit Kindern und Jugendlichen im Bereich psychischer Gesundheit zu arbeiten, gerecht zu werden. Das Projekt fördert das gesunde und soziale Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen, erhöht deren Bildungschancen und fördert das Zusammenleben aller Menschen durch den Anti-Stigma-Ansatz.

 

Umsetzung im Kreis Segeberg:

2015 wurde das Projekt im Kreis in Kooperation mit Irrsinnig menschlich e.V. eingeführt. Eine sozialpädagogische Kraft aus dem Sozialpsychiatrischen Dienst verrichtete die Projektarbeit ambitioniert, allerdings mit einem kleinen Stellenanteil von 0,15 VZ-Stelle. Unterstützt wurde diese Fachexpertin dabei in der Organisation durch die Gesundheitsplanerin mit einem 0,05 VZ-Stellenanteil. Rückmeldungen aus den besuchten Schulen waren durchweg positiv, der Bedarf überstieg jedoch bald die Möglichkeiten des Fachdienstes. In den Jahren 2018/2019 konnten kaum noch Projekttage umgesetzt werden und Anfragen von Schulen mussten abgewiesen werden. Es zeigte sich, dass Mitarbeitende des Sozialpsychiatrischen Dienstes durch ihre hoheitlichen Aufgaben ausgelastet sind und das Projekt nicht zusätzlich umsetzen konnten. Mit dem politischen Beschluss Ende 2019 (Drs/2019/097-1), eine für 3 Jahre befristete 0,5 VZ-Stelle für die Projektkoordination zu schaffen, wurde die Situation deutlich verbessert. Die Stelle im Fachdienst Sozialpsychiatrie und Gesundheitsförderung konnte zum 01.08.2020 besetzt werden und Frau Geyer übernahm sowohl die organisatorische Leitung des Projektes als auch die pädagogische Durchführung der Projekttage in den Schulen.

 

Verlauf seit der Arbeitsaufnahme von Frau Geyer:

6 Ehrenamtliche, die als selbst Betroffene bei den Projekttagen ihre persönlichen Erfahrungen mit psychischen Krisen an Schüler*innen weitergeben, konnten für die Segeberger Regionalgruppe gewonnen und geschult werden. So ist ein festes Team entstanden, dass das Projekt im Kreis Segeberg umsetzt und als eine von 9 „Verrückt? Na und!“-Regionalgruppen vernetztes Mitglied in der Landesgruppe für Schleswig-Holstein ist.  An frühere Kontakte und Kooperationen mit Lehrkräften, Schulen und Schulsozialarbeit konnte angeknüpft werden, neue Kontakte wurden geschaffen.

Schulen und Lehrkräfte hatten bereits auf den Neustart des Projektes gewartet und berichteten, dass gerade nach den Lockdown-Phasen und Schulschließungen der Bedarf, auf psychische Krisen und Belastungen bei Schüler*innen einzugehen, gestiegen sei.

 

Trotz pandemiebedingt erschwerter Bedingungen durch Homeschooling, Betretungsverboten in Schulen usw., gelang es im Jahr 2021, von 46 gebuchten Projekttagen, 22 Projekttage durchzuführen. Von diesen 22 Projekttagen wurden 8 im Rahmen eines eigens in Corona-Zeiten entwickelten digitalen „Mutmacher-Workshops“ durchgeführt. Es wurden 450 Schüler*innen sowie 35 Lehrkräfte und Schulsozialarbeitende an insgesamt 9 Schulen im Kreis erreicht. Die Segeberger Regionalgruppe hat als eine von 9 Regionalgruppen in Schleswig-Holstein allein ein Drittel aller landesweiten Projekttage in 2021 durchgeführt. In der Umsetzung eines digitalen Angebotes für Schulen ist die Regionalgruppe Segeberg Spitzenreiter im Land.

 

Die Kosten für die 0,5 Vollzeitstelle und Ehrenamtspauschale beliefen sich in 2021 insgesamt auf 36.765,52 € (34.650 € die Stelle plus 2115,52 € Ausgaben für das Ehrenamt). Einnahmen und Spenden konnten in Höhe von 18.350 € erzielt werden: das Projekt wird von der Tantau-Stiftung mit 10.000 € jährlich unterstützt. Jeder Projekttag wird von Irrsinnig menschlich e.V. mit 300€ bezuschusst. Über die Entfristung entsprechender Stellenanteile muss im Rahmen des Stellenplanverfahrens entschieden werden.

 

Evaluation:

Im Jahr 2021 erfolgten Schüler*innen- und Lehrkräftebefragungen zum Präventionsprojekt „Verrückt? Na und!“ an weiterführenden Schulen im Kreis Segeberg. Dazu wurden 2 Befragungen mittels anonymisierten Fragebögen durchgeführt. Eine Befragung erfolgte unmittelbar im Anschluss an die Teilnahme an einem Projekttag. Hieran nahmen 182 Schüler*innen zwischen 12 und 21 Jahren und 16 Lehrkräfte teil. Eine weitere Befragung wurde 2 bis 6 Monate nach der Teilnahme an einem Projekttag durchgeführt. Hieran nahmen 80 Schüler*innen teil. Ziel der Befragung war zu ermitteln, welche kurz- und längerfristigen Effekte die Projekttage in Hinblick auf die Vermittlung von Lerninhalten, die Sensibilisierung für das Thema psychische Gesundheit und das Hilfesuchverhalten von Schüler*innen haben. Ein weiteres Ziel war die Reduktion von Vorurteilen gegenüber psychisch erkrankten Menschen.

83% der Teilnehmenden bewerten den Projekttag in der unmittelbaren Befragung als Wegweiser für psychische Gesundheit. Sie erfahren, dass es Hilfe bei psychischen Problemen gibt und an wen sie sich wenden können, wenn sie in eine Krise kommen.

Nach bis zu 6 Monaten würden 94% der Schüler*innen über psychische Probleme reden und sich Hilfe holen. 81 % der Schüler*innen empfinden es als für sie besonders nützlich, im direkten Gespräch mit einem Menschen gewesen zu sein, der Erfahrung mit seelischen Krisen hat. Zudem bewerten Schüler*innen besonders positiv, dass sie beim Projekttag offen über Gefühle und Probleme reden und viel Neues über psychische Erkrankungen lernen konnten. 94% der Lehrkräfte bestätigen, dass ihre Schüler*innen durch den Projekttag für den Umgang mit eigenen psychischen Krisen, als auch mit denen von Mitschüler*innen sensibilisiert wurden. Sie geben mehrheitlich an, dass ihre Schüler*innen ermutigt wurden, eigene Krisen zu überstehen und externe Hilfen in Anspruch zu nehmen (81%). 88% sind der Meinung, dass „Verrückt? Na und!“ Ängste und Vorurteile gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen reduziert. Alle Lehrkräfte empfehlen den Projekttag anderen Kolleg*innen weiter.

 

Prognose:

Die „Verrückt? Na und!“-Regionalgruppe Segeberg hat sich als Akteur sowohl im Kreis, als auch auf Landes- und Bundesebene etabliert. Es besteht weiterhin ein großer Bedarf an Präventionsangeboten zur Verhinderung psychischer Erkrankungen im Jugendalter. Schulen im Kreisgebiet fragen auch 2022 konstant Projekttage an, die Kapazitäten der Regionalgruppe werden voll ausgeschöpft. Für das erste Quartal 2022 wurden bereits 9 Schultage gebucht. Das bestehende Netzwerk kann ausgebaut und Strukturen verfestigt werden. Lehrkräfte wünschen sich zusätzliche Angebote, die auf ihre spezifischen Bedarfe zu dem Thema eingehen (z.B. Umgang mit erkrankten Schüler*innen, Handlungs- und Hilfsmöglichkeiten im Kontext Schule, Umgang mit eigener Belastung). Hier besteht eine Erweiterungsmöglichkeit des Angebots der „Verrückt? Na und!“ Regionalgruppe Segeberg. Der regelmäßige Bedarf für das bisherige Angebot und auch die Anfrage nach neuen Inhalten erfordern die zwingende Fortsetzung des Projektes im Rahmen der Umsetzung des gesetzlichen Auftrages und der strategischen Ziele des Kreises. Die Arbeit zur Prävention seelischer Erkrankungen muss langfristig angesetzt werden und den Bedarf im Flächenkreis abdecken. Die Verstetigung des Projektes schafft ein verlässliches, dauerhaftes Angebot für alle Schulen im Kreis Segeberg.   

 

 

ALLRIS® Office Integration 3.9.2

Beschlussvorschlag:

Der OVG-Ausschuss empfiehlt, der Hauptausschuss empfiehlt, der Kreistag beschließt, dass das Anti-Stigma-Projekt „Verrückt? Na und!“ zur Prävention psychischer Erkrankungen im Jugendalter im Kreis weitergeführt und verstetigt wird.

 

 

ALLRIS® Office Integration 3.9.2

Finanzielle Auswirkungen:

 

Nein

 

x

Ja:

 

 

Darstellung der einmaligen Kosten, Folgekosten

 

Der Kostensatz für den Stellenplan 2022 beträgt 34.650 Euro für eine 0,5 VZ Stelle S12. Diese Kosten treten im Falle einer Entfristung an. Die Ehrenamtspauschale beträgt 70 Euro pro Schultag plus Fahrtkostenerstattung und wird aus dem vorhandenen Budget der Gesundheitsförderung bestritten. Gegengerechnet werden können Einnahmen und Spenden. Diese betrugen im Jahre 2021 18.350 €.

 

 

x

Mittelbereitstellung

 

Teilplan: 4142

 

In der Ergebnisrechnung

Produktkonto: 4141300

 

In der Finanzrechnung investiv

Produktkonto: 4141300

 

 

Der Beschluss führt zu einer über-/außerplanmäßigen Aufwendung bzw. Auszahlung

 

in Höhe von

 

Euro

 

(Der Hauptausschuss ist an der Beschlussfassung zu beteiligen)

 

 

Die Deckung der Haushaltsüberschreitung ist gesichert durch

 

Minderaufwendungen bzw. -auszahlungen beim Produktkonto:

 

 

 

 

 

Mehrerträge bzw. -einzahlungen beim Produktkonto:

 

 

Steuerliche Relevanz

 

Einschätzung durch den FD 20.00 erfolgt

 

x

Keine steuerliche Relevanz gegeben

 

 

 

Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen sind betroffen:

 

Nein

 

x

Ja:

Wir machen Anti-Stigma-Arbeit für Menschen mit seelischen Beeinträchtigungen. Expert*innen in eigener Sache werden ehrenamtlich in die Projektarbeit einbezogen und beteiligt. Dadurch stärken wir sie (Empowerment).  

 

Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen wurden berücksichtigt:

 

Nein

 

x

Ja:

 

 

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Anlage/n:

Präsentation „Verrückt? Na und!“

Evaluation „Verrückt? Na und!“  

 

 

Anlagen:  
  Nr. Status Name    
Anlage 1 1 öffentlich Präsentation Verrückt-Na und (582 KB)      
Anlage 2 2 öffentlich Evaluation Verrückt-Na und (1190 KB)